Sieg der Menschlichkeit
In der Nähe von New York, bei einem Wohltätigkeitsessen zugunsten von Schülern mit Lernschwierigkeiten, hielt der Vater eines der Kinder eine Rede, die so schnell keiner der Anwesenden vergessen wird.
Nachdem er die Schule und ihre Mitarbeiter in höchsten Tönen gelobt hatte, stellte er eine Frage: “Wenn keine störenden äußeren Einflüsse zum Tragen kommen, gerät alles, was die Natur anpackt, zur Perfektion. Aber mein Sohn Shay ist nicht so lernfähig wie andere Kinder. Er ist nicht in der Lage, die Dinge so zu verstehen wie andere Kinder. Wo ist die natürliche Ordnung der Dinge bei meinem Sohn?”
Das Publikum war angesichts dieser Frage vollkommen stumm. Dann erzählte er folgende Geschichte:
Shay und ich kamen einmal an einem Park vorbei, in dem einige Jungen, die Shay kannte, Baseball spielten. Shay fragte: “Glaubst du, sie lassen mich mitspielen?”
Ich wusste, dass die meisten der Jungen jemanden wie Shay nicht in ihrer Mannschaft haben wollten, aber als Vater war mir auch klar: wenn mein Sohn mitspielen durfte, würde es ihm genau das Gefühl von „Dazugehörigkeit“ geben, nach dem er sich so sehr sehnte – und auch die Zuversicht, trotz seiner Behinderung von anderen akzeptiert zu werden.
Ich ging also zu einem der Jungen auf dem Spielfeld und fragte, ohne allzuviel zu erwarten, ob Shay mitspielen könne. Der Junge schaute sich hilfesuchend um und sagte: “Wir haben schon sechs Runden verloren und das Spiel ist gerade beim achten Inning. Ich glaube schon, dass er mitspielen kann. Wir werden versuchen, ihn dann beim neunten Inning an den Schläger kommen zu lassen.”
Shay kämpfte sich nach drüben zur Bank der Mannschaft und zog sich mit einem breiten Grinsen ein Trikot des Teams an. Ich schaute mit Tränen in den Augen und Wärme im Herzen zu. Die Jungen sahen, wie ich mich freute, weil mein Sohn mitspielen durfte.
Am Ende des achten Innings hatte Shays Team ein paar Runden gewonnen, lag aber immer noch um drei im Rückstand. Mitten im neunten Inning zog sich Shay den Handschuh an und spielte im rechten Feld mit. Auch wenn keine Schläge in seine Richtung gelangten, war er doch begeistert, dass er dabei sein durfte und grinste bis zu beiden Ohren, als ich ihm von der Tribüne aus zuwinkte.
Am Ende des neunten Innings holte Shays Mannschaft noch einen Punkt. In der jetzigen Ausgangslage war der nächste Run ein potenzieller Siegesrun und Shay kam als Nächster an die Reihe. Würden sie in diesem Moment Shay den Schläger überlassen und damit die Chance, das Spiel zu gewinnen, aufs Spiel setzen?
Überraschenderweise bekam Shay den Schläger. Jeder wusste, dass ein Treffer so gut wie unmöglich war, denn Shay wusste nicht einmal, wie er den Schläger richtig halten oder den Ball schlagen sollte.
Als Shay tatsächlich an den Abschlagpunkt trat, merkte der gegnerische Pitcher, dass der eigentliche Sieg in diesem Moment nicht mehr das Wichtigste war. Also warf er den Ball so vorsichtig, dass Shay ihn wenigstens treffen konnte.
Beim ersten Pitch schwankte Shay etwas unbeholfen zur Seite und schlug vorbei. Der Pitcher ging wieder ein paar Schritte nach vorn und warf den Ball nochmals vorsichtig in Shays Richtung. Als der Pitch hereinkam, hechtete Shay zum Ball und schlug ihn tief nach unten gezogen zurück zum Pitcher. Das Spiel wäre nun gleich zu Ende. Der Pitcher nahm den tiefen Ball auf und hätte ihn ohne Anstrengung zum ersten Baseman werfen können. Shay wäre dadurch rausgeflogen und das Spiel beendet gewesen.
Aber stattdessen warf der Pitcher den Ball über den Kopf des ersten Basemans und außer Reichweite der anderen Spieler.
Von der Tribüne und von beiden Teams schallte es: “Shay lauf! Lauf los!” Noch nie im Leben war Shay so weit gelaufen, aber er schaffte er bis zur First Base. Mit weit aufgerissenen Augen und etwas verwundert hetzte er die Grundlinie entlang.
Alle schrien: “Lauf weiter, lauf weiter!” Shay holte tief Atem und lief unbeholfen, aber voller Stolz weiter, um ans Ziel zu gelangen.
Als Shay um die Ecke zur zweiten Base bog, hatte der rechte Feldspieler den Ball. Er war der kleinste Junge im Team, der jetzt seine erste Chance hatte, zum Held des Tages zu werden. Er hätte einfach nur den Ball dem zweiten Baseman zuwerfen müssen. Aber er hatte verstanden, was der Pitcher vorhatte – und so warf er den Ball absichtlich ganz hoch und weit über den Kopf des dritten Basemans.
Also rannte Shay wie im Delirium zur dritten Basis, während die Läufer vor ihm die Stationen bis zur Homebase umrundeten. Alle schrien nun: “Shay, Shay, Shay, lauf weiter, lauf weiter!”
Shay erreichte die dritte Base – aber nur, weil der gegnerische Shortstop ihm zur Hilfe gelaufen kam, ihn in die richtige Richtung der dritten Base gedreht und gerufen hatte: “Lauf zur Dritten! Shay, lauf zur Dritten!”
Als Shay die dritte Base geschafft hatte, waren alle Spieler beider Teams und die Zuschauer auf den Beinen und riefen: “Shay, mach den Home-Run! Lauf den Home-Run!” Shay schaffte es. Er machte den Home-Run, trat auf das Zielfeld und wurde als Held des Tages gefeiert, der den Grand Slam erreicht und den Sieg für seine Mannschaft errungen hatte.
“An diesem Tag”, so sagte der Vater, während ihm die Tränen übers Gesicht liefen, “brachten die Spieler von beiden Mannschaften ein Stück wahrer Liebe und Menschlichkeit in Shays Welt.”
Der Vater fuhr fort: “Ich bin der Meinung, wenn ein Kind so ist wie Shay, also geistig und körperlich behindert zur Welt kommt, dann entsteht für uns die Möglichkeit, wahre Menschlichkeit in die Tat umzusetzen. Das ist ihr und unser Part in der natürlichen Ordnung der Dinge. Es liegt nur daran, wie die Menschen dieses Kind behandeln.“
Und er fügte hinzu: „Shay erlebte keinen weiteren Sommer mehr. Er starb im folgenden Winter und hatte nie vergessen, wie es war, ein Held zu sein. Wie schön es für ihn war, mich so glücklich gemacht zu haben, und zu erleben, wie seine Mutter ihren kleinen Helden unter Tränen umarmte, als er nach Hause kam!”
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(Text nach einer Erzählung aus dem Internet)
Nachsatz:
Viele scheinbar triviale zwischenmenschliche Kontakte stellen uns vor die Wahl: Nutzen wir die Chance, und geben ein bisschen Liebe und Menschlichkeit weiter – oder verpassen wir sie und machen die Welt dadurch ein bisschen kälter?
Ein weiser Mann sagte einmal, dass jede Gesellschaft danach zu beurteilen sei, wie sie ihre am wenigsten gesegneten Mitglieder behandle.
Es liegt an uns. Wir haben die Wahl.
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