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Ankatrins Erinnerungen – Kapitel 08

Diese Geschichte ist real. Wir haben die wundervolle Erlaubnis bekommen, die Erinnerungen einer guten Freundin veröffentlichen zu dürfen. Ein ganz, ganz lieber Dank und Gruß gehen an Ankatrin! (Text: Ankatrin G., Lektorat: Gaby K., Sandra S., Bilder: #WirHabenDieWahl).

Kapitel

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Der unbekannte Soldat

Von den zahlreichen Flüchtlingen in dem Haus, in dem wir wohnten, war bereits die Rede. Und es wird da noch mehr einzelne Geschichten geben, die im Verlaufe des Buches geschrieben werden.

Hier möchte ich von zwei Frauen aus Pommern berichten:

Frau K. und ihre Tochter. Ich weiß nicht mehr, ob der Mann im Krieg gefallen war, aber ganz genau weiß ich, dass beide um den Verbleib des Sohnes beziehungsweise des Bruders bangten. Er hieß Manfred. Mutter und Tochter waren eher zwei stille Frauen, die wenig redeten. Um so mehr müssen sie über Manfred gesprochen haben, dass ich mich sogar noch seines Namens erinnere. Na ja, immerhin sprachen sie über einen Soldaten, und da hörte ich immer zu, wenn sich die Erwachsenen unterhielten.

Mutter und Tochter hatten seltsame Essgewohnheiten: Kartoffeln in Milch, dazu geriebene saure Mohrrüben. Ich glaube, es waren sogar Bratkartoffeln, aber wenn man bedenkt, wie oft wir Bratkartoffeln in „Muckefuck“ (das war der Kaffee-Ersatz) gebraten haben – vielleicht schmeckte es ja wie Milch-Kaffee mit Einlage. Jedenfalls habe ich es nie probiert,  obwohl ich fast alles aß, was satt machte.

Ich sehe die beiden Frauen noch an unserem Küchentisch sitzen, grau und ausgemergelt, still und in sich gekehrt saßen sie da, beide trugen Kopftücher. Warum erinnere ich mich an sie, als hätten sie nie ein Wort gesprochen? Vielleicht war es der Kummer, der um sie zu schweben schien, vielleicht das Erlebte, der Verlust der Heimat oder andere unvorstellbare Gräuel, die sie auf der Flucht erlebt hatten. Ich erinnere mich nur, dass hin und wieder von Manfred gesprochen wurde.

Zu dieser Zeit kamen durchaus schon Soldaten aus dem Krieg zurück. Manche hatten ihre Einheit verloren oder waren von ihr abgetrennt worden, andere hatten sich vor dem Russen auf die Flucht begeben, andere waren irgendwie entlassen worden.

Jedenfalls waren Soldaten in abgerissenen, schmutzigen Uniformen der deutschen Wehrmacht keineswegs ein seltenes Erscheinungsbild. Fast immer sahen sie zum Erbarmen aus. Meine Mutter griff häufig so ein erbarmungswürdiges Bündel Mensch von der Straße auf – ganz gleich ob Soldat oder nicht – und brachte ihn mit nach Hause.

Eines Tages stießen wir wieder einmal auf einen Soldaten, der zu Tode erschöpft schien. Er lehnte in der Nähe des Blumengeschäftes am Markt am Zaun und schien über seine eigenen Füße zu stolpern. Meine Mutter sprach ihn an und bot ihm an, uns nach Hause zu begleiten, um erst einmal auszuruhen und etwas zu essen zu bekommen. Hier ist Essen nicht mit dem, was man heute kennt, zu verwechseln. Auch eine Wassersuppe, in der ein bisschen Gemüse schwamm, war Essen. Der Soldat – jetzt sahen wir, dass er noch sehr jung war – wollte nicht so recht. Er wollte weiter, er war auf der Suche nach seiner Familie, die irgendwo in oder um Lübeck herum leben sollte.

Meine Mutter hatte wohl plötzlich eine Ahnung. Jedenfalls fragte sie den Soldaten, wie er denn heiße? „Manfred, Manfred K.!“ „Na“, meinte meine Mutter, „so hungrig und müde können sie nicht weitersuchen. Kommen sie nur mit. Morgen ist auch noch ein Tag. Wir werden Ihre Mutter und Schwester schon finden.“

Kein Wort hatte sie verraten. Aber muss ich die Freude beschreiben, die wir dann in unserer Küche miterleben durften?

Ich ging in den Garten setzte mich unter die Büsche und weinte und träumte den Traum aller Träume, der mich fast mein ganzes Leben begleitet hat: Den Traum von der Rückkehr meines toten Bruders Karl.

* * * * *

Das war Kapitel 8

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© Copyright by ABGrundke seit 2017. Jede Verteilung, Vervielfältigung und gewerbliche Nutzung ist untersagt und muss von der Autorin ausdrücklich genehmigt werden. Erstveröffentlichung 2017 via Gaby Konradt und Kassandra von Troya ("Hand in Hand zur Menschlichkeit"). Zweite Fassung und Gestaltung 2021 #wirhabendiewahl

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