Ankatrins Erinnerungen – Kapitel 11 – wirhabendiewahl.net

Ankatrins Erinnerungen – Kapitel 11

Diese Geschichte ist real. Wir haben die wundervolle Erlaubnis bekommen, die Erinnerungen einer guten Freundin veröffentlichen zu dürfen. Ein ganz, ganz lieber Dank und Gruß gehen an Ankatrin! (Text: Ankatrin G., Lektorat: Gaby K., Sandra S., Bilder: #WirHabenDieWahl).

Kapitel

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Sammelleidenschaften

Immer wieder komme ich auf den Hunger zurück, den wir damals hatten, der aber auch ganz schön erfinderisch machte und in mancher Frau auch die Urfrau – die Sammlerin – wieder erweckte. Gesammelt wurde in der freien Natur alles, von dem die Essbarkeit bekannt war.

So habe ich in dieser Zeit zum ersten Mal in meinem Leben Sauerampfer-Suppe gegessen. Dieses Rezept brachten die Ostpreußen mit. Meine Mutter war zunächst ungeheuer skeptisch, aber gegessen haben wir es dann doch.

Dass man Brennnesseln wie Spinat essen kann, ist heutzutage jedermann bekannt. Aber kennengelernt habe ich dieses Essen in der Zeit des Hungerns. Solange die Brennnesselpflanzen nicht zu groß waren – und kleine wachsen ja immer wieder nach – haben wir als Kinder Brennnesseln gepflückt, die meine Mutter dann zu einem durchaus schmackhaftem Gemüse zubereitete.

Im Sommer zogen wir dann mit Milchkannen und Konservenbüchsen bewaffnet in den Wald und sammelten Himbeeren, später dann Brombeeren. Wenn wir diese Früchte nicht für Grütze verarbeiteten – und das wäre bei den Mengen, die wir sammelten, reine Verschwendung gewesen – wurde Saft hergestellt oder Marmelade eingekocht. So schafften wir uns Vorrat für den Winter, von dem wir nicht annehmen konnten, dass er uns in irgendeiner Hinsicht Besserung brachte.

Die grünen Bohnen, die wir im Vorgarten anstelle des sonst dort wachsenden Rasens anpflanzten, wurden eingemacht. Auf dem Lande – und irgendwie wohnten wir ja schon fast im ländlichen Gebiet – besaß man immer irgendwelche Einmachbehältnisse. Ich weiß noch, dass es in der Lübecker Straße gleich neben der Commerzbank einen kleinen Laden gab, der sich mit nichts anderem beschäftigte, als Konservendosen zu verschließen. Natürlich hatten wir auch genügend Weckgläser – nur die Beschaffung von neuen Weckringen war etwas problematisch. So warf nicht nur die Beschaffung von Lebensmitteln und Vorräten Probleme auf, nein, auch die Haltbarmachung brachte so ihre Probleme mit sich.

Im Herbst wurde Holz gesammelt, um genügend Brennholz vorrätig zu haben. Besonders beliebt waren auch die sogenannten “Kienäppel” (Tannenzapfen), da sie wegen ihres Harzgehaltes besonders viel Hitze entwickelten. Aber gerade darin bestand eine gewisse Gefahr, und so war es ratsam, nie zu viele in die Glut zu geben, weil eine Explosionsgefahr nicht ganz auszuschließen war.

In dieser Zeit begannen wir auch, die “Stubben” (Baumstümpfe) zu roden. Hierfür musste man das Erdreich um einen solchen Baumstumpf zunächst so tief ausgraben, bis man den Stumpf durch Hebelwirkung entwurzeln konnte. So ein Ungetüm wog sicherlich enorm viel. Es wurde in transportierbare Stücke gesägt, auf einen fahrbaren Untersatz (Bollerwagen) gehievt und nach Hause transportiert, wo man dann die Stücke in ofengerechte Scheite hackte und zu runden Holzstößen stapelte.

Meine Mutter hatte sich eines Tages vom Förster Bäume zeigen und markieren lassen, die nicht gesund waren und somit ebenfalls gefällt werden durften. Diese Erlaubnis war eine Ausnahme und niemand sollte wissen, dass meine Mutter ihre eigenen Bäume fällen durfte.

Was blieb anderes, als sie nachts zu fällen.

Die Ausgangssperre war zu diesem Zeitpunkt natürlich schon längst aufgehoben, aber ich glaube trotzdem nicht, dass das Tun meiner Mutter und meines Bruders unbemerkt blieb. Wahrscheinlich hatten sie viele Nachahmer, denn irgendwann kamen die Behörden auf die Idee, die Haushalte nach unerlaubten Mengen Brennholz zu kontrollieren. Wir hatten Glück, dass die Behörden bei uns scheinbar nichts fanden, denn die Strafe wäre wohl empfindlich gewesen: Galt doch das Fällen von Bäumen – meine Mutter hätte unseren Förster nicht verraten dürfen – als Diebstahl und wurde entsprechend geahndet.

Bad Schwartau ist nicht nur ein hübscher kleiner Kurort, sondern hat auch eine Besonderheit: Alle Stadtteile sind durch Buchenwälder von einander getrennt. Diese Buchenwälder haben in meiner ganzen Kindheit eine große Rolle gespielt, aber im Herbst ´45 und in den darauffolgenden Jahren hatten sie eine ganz andere und lebenswichtige Bedeutung: Wenn wir genügend Bucheckern sammelten, dann konnten wir diese in einem Speicher abgeben und gegen Fette wie z.B. Margarine oder Öl eintauschen. Ich weiß nicht mehr, was man für welche Menge Bucheckern bekam, aber ich weiß noch, dass ich immer mehrere Zentner suchte und abgab. Auch das half weiter.

Der Herbst brachte noch einen Vorteil für hungrige Mägen: Die Kartoffelernte. Waren die Kartoffeln vom Bauern abgeerntet, haben wir Kinder uns auf den Acker geschlichen und eine Nachlese begonnen. Aber auch dies war verboten und man durfte sich um Gottes Willen nicht erwischen lassen. Vielleicht hat das Sammeln von Kartoffeln gerade deswegen Spaß gemacht und natürlich wegen des Kartoffelfeuers. Man sammelte das vertrocknete Kartoffelkraut, häufte es auf und entzündete es. Die Kartoffeln wurden auf einen Holzspieß gesteckt und tief unten in das Feuer geschoben, ohne dass der Holzstab brennen konnte, die Kartoffel aber geröstet wurde. Diese verkohlten Dinger haben wir dann mit Heißhunger und Genuss verschlungen.

Im Herbst ´45 gab es mit Sicherheit auch schon reichlich Pilze und meine Mutter hat von unseren neuen Mitbewohnern auch Pilze gekauft oder eingetauscht, aber gesammelt haben wir sie in diesem Herbst noch nicht, ganz einfach weil wir keine Ahnung von den meisten Pilzen hatten und nicht wussten, dass man viele der Pilze durchaus essen konnte. Erst ein Jahr später, als ich wieder zur Schule ging und eine Lehrerin aus Ostpreußen hatte, habe ich dann mit einigen Klassenkameradinnen unter Anleitung unserer Lehrerin Pilze gesammelt und so deren Essbarkeit kennengelernt.

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Das war Kapitel 11

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© Copyright by ABGrundke seit 2017. Jede Verteilung, Vervielfältigung und gewerbliche Nutzung ist untersagt und muss von der Autorin ausdrücklich genehmigt werden. Erstveröffentlichung 2017 via Gaby Konradt und Kassandra von Troya ("Hand in Hand zur Menschlichkeit"). Zweite Fassung und Gestaltung 2021 #wirhabendiewahl

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