Es ist nicht nur Chemnitz.
Ein Text über Zivilcourage von Ramona Ambs (Netzfund):
Es ist nicht nur Chemnitz. Dort ist es nur am offensichtlichsten.
Ich saß am Montag in einem Zug von Karlsruhe nach Radolfzell mit drei Männern, die sich die gesamte Fahrt darüber unterhalten haben, wie man all dieses Dreckspack in diesem Land, um die Ecke bringen sollte. “Abends abfangen, Zähne ausschlagen, dass die die Klappe, ab in den Kofferraum und dann im Wald ausladen und einfach anzünden” – um nur mal ein Beispiel zu zitieren.
Und niemand hat widersprochen – das gesamte Abteil hatte Angst. Ich übrigens auch, weil ich nämlich die Kinder mit dabei hatte und deswegen die Klappe gehalten hab, zumal ich aufgrund meiner Optik ohnehin dauernd von denen anvisiert wurde.
Und dann schämt man sich, weil man nichts sagt und man setzt den Kindern die Kopfhörer auf und lässt sie Pu der Bär hören und man fragt sich, wann die Atmosphäre in diesem Land so gekippt ist, dass solche Leute ihre Phantasien mittlerweile lautstark in einem Zug kund tun können…
Und man schaut sich suchend um nach weiteren Leuten, – eigentlich sucht man nach anderen Menschen, um genau zu sein, und man versucht Blickkontakt aufzunehmen, weil eigentlich heisst es ja, #wirsindmehr, aber alle starren nach unten, nach draußen und tun so, als würden sie nichts hören.
Und in dem Moment spürt man diese große Hilflosigkeit und diesen uralten moralischen Konflikt: wenn man jetzt was sagt, also Zivilcourage zeigt und sich selbst gefährdet, dann wär das gut und richtig und wichtig. Wenn man das aber tut und andere- in dem Fall seine Kinder- in Gefahr bringt, -was ist dann moralisch noch richtig? Und wenn man es nicht tut, weil man sie schützen will, – warum schämt man sich dann so?
Und damit bin ich wieder bei meinem alten Lieblingsthema der Scham nämlich… und das ist ein weites und äußerst betrübliches Feld… und vielleicht sollte unsereins die Koffer packen und gehen, aber die Scham und das Versagen würde sich in jedem Fall zwischen den Gepäckstücken befinden…
Ramona Ambs
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