Ankatrins Erinnerungen – Kapitel 03 – wirhabendiewahl.net

Ankatrins Erinnerungen – Kapitel 03

Diese Geschichte ist real. Wir haben die wundervolle Erlaubnis bekommen, die Erinnerungen einer guten Freundin veröffentlichen zu dürfen. Ein ganz, ganz lieber Dank und Gruß gehen an Ankatrin! (Text: Ankatrin G., Lektorat: Gaby K., Sandra S., Bilder: #WirHabenDieWahl).

Kapitel

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Kapitel 3 – Not macht erfinderisch

Meine Mutter kam in dieser Zeit auf die Idee, einen Mittagstisch einzurichten. Sie bot einigen der ihr bekannten und unter jämmerlichen Umständen untergebrachten Flüchtlingen an, für sie Mittag zu kochen, wenn sie dafür ihre Essensmarken abgaben und einen kleinen Beitrag zahlten – ich glaube nicht, dass es mehr als 1,- Reichsmark war. So hatte sie dann auch bald außer uns regelmäßig 12 Personen zu beköstigen. Das half ein kleines Stück weiter. Auf die Art konnte man mit dem Wenigen, was dem Einzelnen zur Verfügung stand, wenigstens etwas halbwegs Nahrhaftes für alle zustande bringen.

Übrigens waren alle diese Leute aus Berlin, sie hatten zusammen gearbeitet und kannten sich schon jahrelang. Ihr Arbeitsplatz war das Forschungslabor ARADO gewesen. Hier war die automatische Mauserpistole entwickelt worden. Auch die nach dem Erfinder, Herrn Schlechter, benannte antiseptische “Schlechterbinde”, gelb in lila Verpackung. Und ein Radargerät, das man in einem Auto installieren konnte, was den mobilen Einsatz von Radar ermöglichte.

Ein Teil dieser Leute war schon vor dem 8. Mai bei uns gewesen, die anderen waren mit der Zeit nachgekommen. Sie waren zunächst im Gymnasium untergebracht, bis meine Mutter das Ehepaar Schlechter bei uns im Wohnzimmer auf der Erde schlafen ließ. Betten hatten wir natürlich nicht mehr.

Ich habe auch den Verdacht, dass es die Leute von ARADO waren, die am 8. Mai für den Wein gesorgt hatten.

Übrigens lebt einer von ihnen im Wendland. 1970 kaufte ich mein erstes Auto von ihm. Meine Mutter hat leider nicht mehr erfahren, dass ich ein paar der Leute wiedergefunden hatte, denn sie starb 1969 im Alter von 66 Jahren. Sie war eine tapfere Frau, die sich durch die Jahre des Hungers und anderer Unbill nie hatte klein kriegen lassen. Zumindest hat sie es uns Kindern nie gezeigt.

Danke an meine Mutter

Im ganzen ersten Jahr der Besatzungszeit hatten wir keine Schule. 10 Jahre später hätte ich mich vielleicht darüber gefreut, aber damals war ich ungeduldig und wollte unbedingt zur Schule gehen. Ein paar der Kinder unserer Straße waren genauso lernbegierig und entnervten ihre Eltern mit ihrem Wissensdrang. Dann überredete meine Mutter meine Lehrerin, Fräulein Pieper (sie war schon sehr alt und wohnte mit ihrer Nichte und ihrem Neffen in einer kleinen Mansardenwohnung), uns zu unterrichten. Von da an hatten wir mehrmals die Woche mit 5 oder 6 Kindern Unterricht bei Fräulein Pieper.

Aber wir hatten viel freie Zeit und waren dennoch den ganzen Tag beschäftigt. Die leidigen Essensmarken habe ich schon erwähnt, aber da waren auch noch die Zuteilungen, die nicht für die Gesamtbevölkerung reichten. Hunger war kein Fremdwort – und was auch immer meine Mutter sich einfallen ließ, es war nicht ausreichend. Ich bekam alsbald Hungergeschwüre an Armen und Beinen, die Narben hinterließen, die man vereinzelt noch heute sehen kann, wenn mich extrem friert.

Was das damit zu tun hat, dass wir den ganzen Tag beschäftigt waren? Eine ganze Menge! Wir haben unseren Kindern beigebracht: Du darfst nicht stehlen. Und was haben wir gestohlen! Überall, wo wir im Lager der Engländer etwas entdeckten, was wir mitgehen lassen konnten, haben wir es getan. Wir konnten alles gebrauchen, nicht nur Nahrungsmittel. Denn es gab ja den segensreichen Schwarzmarkt. Und hierin war meine Mutter nun wieder die Größte. Leute kamen zu ihr, wenn sie was verhökern wollten gegen Brot oder Butter. Wir bekamen natürlich von den Naturalien immer einen kleinen Prozentsatz ab, sozusagen eine Provision. Nur wenn ich Zigaretten ergattert hatte – ein beliebtes Tauschobjekt – ließ ich diese oft an meiner Mutter vorbeigehen. Und das hatte eine ganz besondere Bewandtnis.

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Das war Kapitel 3

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© Copyright by ABGrundke seit 2017. Jede Verteilung, Vervielfältigung und gewerbliche Nutzung ist untersagt und muss von der Autorin ausdrücklich genehmigt werden. Erstveröffentlichung 2017 via Gaby Konradt und Kassandra von Troya ("Hand in Hand zur Menschlichkeit"). Zweite Fassung und Gestaltung 2021 #wirhabendiewahl

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