Ankatrins Erinnerungen – Kapitel 15 – wirhabendiewahl.net

Ankatrins Erinnerungen – Kapitel 15

Diese Geschichte ist real. Wir haben die wundervolle Erlaubnis bekommen, die Erinnerungen einer guten Freundin veröffentlichen zu dürfen. Ein ganz, ganz lieber Dank und Gruß gehen an Ankatrin! (Text: Ankatrin G., Lektorat: Gaby K., Sandra S., Bilder: #WirHabenDieWahl).

Kapitel

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Entnazifizierung

Oft spielten wir Kinder der Nachbarschaft in dem Garten, den Onkel Bob den Familien zur Verfügung gestellt hatte. Besonders schön war es im Frühjahr, wenn die Obstbäume blühten und danach, wenn die Eisheiligen vorbei waren, die Mütter Stecklinge setzten, die Aussaat vornahmen und Unkraut jäteten.

Unter den Obstbäumen war immer noch genügend Platz für die Blumen, die einstmals fast den ganzen Garten geziert hatten. Ein kleiner Strauch hatte es mir besonders angetan. Er machte mich immer ein wenig traurig, aber gleichzeitig fühlte ich mich nicht so alleingelassen mit all der Traurigkeit, die mich nie ganz verließ. Es waren die “Tränenden Herzen”. Ich saß davor, schaute die Blumen an, dachte immer und immer wieder an ihren eigenartigen Namen und fühlte, dass diese Blumen und ich etwas gemeinsam hatten: sie weinten. Ich dachte bei ihrem Anblick an meinen großen Bruder, an den Verlust, die Sehnsucht, die ich nach ihm hatte, die Hoffnung auf seine Rückkehr und wusste doch gleichzeitig, dass diese Hoffnung vergeblich war.

Onkel Bob muß mich öfter bei den “Tränenden Herzen” beobachtet haben, denn eines Tages stand er plötzlich neben mir, neben diesem Kind, das ihn nicht nur ständig zu ignorieren versuchte, sondern das sich zudem auch noch bei jeder Gelegenheit respektlos und störrisch ihm gegenüber verhielt.

Onkel Bob hatte inzwischen eine deutsche Freundin in der Nachbarschaft gefunden. Durch diese Freundschaft hatte er wohl seine Deutschkenntnisse erworben, denn im Laufe dieses einen Jahres hatte er leidlich unsere Sprache erlernt. So fragte er mich, indem er sich zu mir herunterbeugte:

“Na, die Blumen magst Du wohl?” Ich nickte stumm. Es war das erste Mal, dass ich ihm eine Art Antwort gab, ohne gleich störrisch wegzulaufen oder mich abzuwenden.

“Warum magst Du gerade diese Blumen? Da sind doch noch so viele schöne Blumen im Garten, aber ich sehe Dich immer wieder hier bei diesem Strauch.”

Ganz leise antwortete ich ihm: “Ich mag sie, weil sie einen schönen Namen haben. Sie heißen ´Tränende Herzen´.”

“´Tränende Herzen´? Du meinst so wie traurig oder weinen?”

Ach ja, Onkel Bob konnte ja gar nicht die Blumennamen auf Deutsch wissen. Ich nickte wieder und fühlte, wie ich immer trauriger wurde.

“Aber warum magst Du einen so traurigen Namen?”

Ich fing ganz leise an zu weinen. “Mein Karl – mein Karl ist tot. Er ist in Russland gefallen.”

Dein Karl?…”

“Mein großer Bruder…” flüsterte ich und weinte noch mehr. Da fühlte ich, wie mir eine große Männerhand über den Kopf streichelte. Ich ließ es geschehen. Ich rannte nicht mehr fort. Ich hatte begriffen, dass dieser große, rotgesichtige Engländer es sehr liebevoll mit uns Kindern meinte und ich ließ mich trösten. Als ich Onkel Bob wieder ansehen konnte, sah ich in seine traurigen, blauen Augen. Wir haben nicht mehr gesprochen. Er hatte verstanden. Er wusste jetzt, warum ich so widerspenstig gewesen war. Er verstand auch, dass mein Widerstand gegen ihn gebrochen war und ich in ihm nicht mehr den Feind in Uniform, sondern nur noch Onkel Bob sah.

Und ich hatte begriffen, dass Menschen, die man Feinde nennt, auch nur verletzbare Wesen sind, die genauso lieben, lachen und traurig sein können wie ich auch. Und dieser “Feind” hier war traurig mit mir.

So hinterließ Onkel Bob in Bad Schwartau nicht nur ein leibliches Kind – übrigens eine Tochter – sondern auch ein kleines Mädchen, das von einer wahnwitzigen Ideologie geheilt war:

Ich hatte begriffen, dass Nationalitäten die Menschen nicht trennen können, sondern nur das, was sie tun.

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Ausklang

Mit ihrem Originalbild verabschiedet sich Ankatrin von Euch und hofft, sie hat Euch einen eindrücklichen Einblick in ihre Erinnerungen vermitteln können. Solche Zeitzeugnisse dürfen nicht verloren gehen, und die Geschichte darf sich niemals wiederholen.

Wir danken ihr von Herzen, dass sie uns hat teilhaben lassen an ihren Erlebnissen.

Es bedeutet einen großen Gewinn für uns – vielen lieben Dank!

* * * * *

Das war Kapitel 15 und damit leider der Schluß der Erzählung.

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© Copyright by ABGrundke seit 2017. Jede Verteilung, Vervielfältigung und gewerbliche Nutzung ist untersagt und muss von der Autorin ausdrücklich genehmigt werden. Erstveröffentlichung 2017 via Gaby Konradt und Kassandra von Troya ("Hand in Hand zur Menschlichkeit"). Zweite Fassung und Gestaltung 2021 #wirhabendiewahl

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